Ayurveda beschreibt Tinnitus als „karna naad“, wobei „karna“ Ohr und „naad“ Geräusch bedeutet. Grundsätzlich betrachtet man dieses Krankheitsbild als Vata-assoziierte Erkrankung, wobei Vata – das die Eigenschaft von Raum und Luft beinhaltet- einerseits erhöht, andererseits aber auch im Hörkanal fehlgeleitet ist. Dadurch entstehen unterschiedliche Töne und Geräusche, die in subjektiv unterschiedlich wahrgenommen und als belastend empfunden werden.
Ayurveda kennt eine weitere Form des fehlgeleiteten Vatas im Ohr, das mit einem einzigen Ton einhergeht und dies wird als „karna swed“ bezeichnet. (Sushruta Samhita, verse-7, page no. 235)
Der Ton ist ähnlich dem einer Flöte, und wird auch „wie durch ein Bambusrohr geblasene Luft“ bezeichnet. Auch in diesem Fall ist Vata das vorherrschende Dosha, das sich in Folge jedoch mit anderen Doshas (meist Kapha) verbindet. Dies kann in weiterer Folge auch zu Taubheit (=Badhirya) führen.
Die in der westlichen Medizin beschriebenen Aspekte der psychischen Faktoren in der Entstehung und weiteren Aggravierung der Symptome sind auch aus ayurvedischer Betrachtungsweise nachvollziehbar. Vata steuert den Geist, die Bewegung der Gedanken, unsere Gefühle und Emotionen, sowie die Nervenimpulse und den Flüssigkeitshaushalt im Körper. Es ist daher sehr gut nachvollziehbar, dass sich eine Fehlsteuerung- im Sinne einer Erhöhung von Vata – demnach Symptome, wie Anspannung, Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Vergesslichkeit, Instabilität, Ängstlichkeit und Nervosität negativ beeinflusst und damit auch die Grunderkrankung fördert.
Das Hören selbst ist einer der physiologischen Vorgänge, der durch Vata gesteuert wird. Insofern ist es nachvollziehbar, dass eine krankhafte Erhöhung, bzw. auch ein fehlgeleitetes Vata Störungen des Hörvorgangs verursachen kann.
Kausale Zusammenhänge werden gesehen in
a) exzessivem körperlichen Stress b) Kaltem Klima c) Fehl-oder Mangelernährung, Schwäche d) zu trockenem Essen, oder Essen mit zusammenziehendem Geschmack
Im Ayurveda gibt es verschiedene Therapieansätze. Man unterscheidet sogenannte „besänftigende“ (shamana) Therapien, „reinigende“ (shodhana) Verfahren und „aufbauende“ (brumhana) Maßnahmen. Neben der Pflanzenheilkunde spielen reinigende Verfahren eine große Rolle. Hierzu gehört auch das Panchakarma-Verfahren, eine Zusammenstellung von äußerlich und innerlich reinigenden Maßnahmen wie Ölmassagen, Schwitzkuren, Abführen, therapeutisches Erbrechen, Therapien über die Darmschleimhaut, Inhalationsverfahren u.ä..
Aus ayurvedischer Sicht sind in Bezug auf Tinnitus jegliche Maßnahmen, die das Vata-Dosa reduzieren, als Therapieoption angeraten. Dies betrifft sowohl das Verhalten, die Ernährung als auch die Therapiemaßnahmen.
Hinsichtlich der Verhaltensregeln ist folgendes zu beachten:
- Vermeiden von Stress und übermäßigen körperlichen und geistigen Anstrengungen.
- Exzessives Sprechen, sowie übertriebene sexuelle Aktivitäten sind zu vermeiden.
- Nikotin und Koffeinkonsum ist weitgehend einzuschränken.
- Generelle Schonung, sowie Einhaltung von Ruhepausen, Regelmäßigkeit in der Nahrungsaufnahme und bei den Schlafenszeiten ist eine Grundvoraussetzung.
Ernährung spielt eine grundlegende Bedeutung im Ayurveda. Man unterscheidet in der ayurvedischen Tradition sechs Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb (oder „zusammenziehend“). Über den Geschmackssinn erschließen wir uns die Qualitäten der Nahrung und können individuell die passende Ernährung ermitteln. Eine vollständige Mahlzeit sollte nach ayurvedischer Vorstellung alle diese sechs Geschmacksrichtungen enthalten.
Die Geschmacksrichtungen zur Vata Reduktion sind süß, sauer, salzig.
Die Vata- Ernährung soll leichtes, gekochtes und warmes Essen, mit wärmenden Gewürzen beinhalten.
Vor allem werden ein warmes Frühstück (Getreidebrei mit Milch zubereitet, Gewürze wie Zimt, Kardamom, Gewürznelken, Koriander, Kreuzkümmel, Ingwer), sowie vegetarisches Essen (Mung Daal, Kitchari, Reis, Gemüse, ..) mit süßem oder saurem Geschmack empfohlen, wobei auch Salz in moderaten Dosen eingesetzt werden kann.
Shodana und brumhana Maßnahmen
Behandlungen mit Ölen und Fetten spielen im Ayurveda eine große Rolle. Ihnen werden neun Eigenschaften zugeordnet: snigdha (ölig), guru (schwer), sìta (kalt), mridu (weich), drava (dünnflüssig), picchila (schleimig), sara (flüssig), manda (sanft), suksma (fein).
Für die Behandlung werden die innere und äußere Ölung, wie z.B. die Einnahme von mediziniertem Ghee, oder die äußere Ölung der Kopfhaut, sowie das Ölziehen am Morgen, wie auch das Ölen der Ohren mit Vata reduzierenden Ölen empfohlen.
Öligen Substanzen enthalten demnach vorwiegend Wasserelement (Eigenschaften „ölig“, „kalt“, „weich“, „schleimig“, „flüssig“) und Erdelement (Eigenschaften „schwer“ und „sanft“). Aufgrund dieser Eigenschaften ist gut nachvollziehbar, dass Öle und Fette vor allem „Vata-senkend“ wirken. Nachdem Vata, als „bewegliches“ und „bewegendes“ Prinzip den Hauptgrund für eine Vielzahl an neurologischen Krankheiten, und auch dem Tinnitus, darstellt, ist nachvollziehbar, warum Öl- und Fettbehandlungen in der ayurvedischen Behandlung so bedeutend sind. Sie regulieren Vata und dämpfen damit jene Faktoren, die die Doshas „aus dem Gleichgewicht bringen“.
Zusätzlich gibt es grundlegende Unterschiede innerhalb verschiedener Fette und Öle in ihren Eigenschaften, wie z.B. erhitzende Eigenschaft (Sesamöl) oder kühlend (Kokosöl).
Als spezifische Tinnitus Therapie besteht im Ayurveda die Möglichkeit von Ohrfüllungen (Karna Purana) mit Vata reduzierenden Ölen, sowie die Ausleitung nach innerer Ölung.
Auch der Einsatz von Nasya-Behandlungen (Verabreichung von öligen Substanzen durch die Nase) als weitere reinigende Maßnahme hat sich im Einsatz bei Tinnitus bewährt.
Lokale Svedana (Wärmetherapie) Anwendung hilft die Kanäle weich zu machen und Vata in die richtige Richtung zu lenken. Gegebenenfalls vorhandenes Shleshma (Schleim bei Kapha Beteiligung) zu verflüssigen und damit zu beseitigen.
Weiters wird die Einnahme von Vata beruhigenden Rasayana-Pflanzen, die regenerierend und verjüngend wirken, wie Ashwagandha, Bala & Brahmi empfohlen.
Ashwagandha verfügt über Vata senkende Eigenschaften, kann in dem Zusammenhang Schmerz und Ödeme reduzieren. Rasa (Geschmack, Eigenschaft): Madhura (süß), Vipaka (Eigenschaft nach der Verdauung) madhura virya (thermische Eigenschaft): usna (erhitzend)
Hinsichtlich Tinnitus berichtet Kumar (2018) über den protektiven Effekt von Ashwagandha einerseits auf ZNS Ebene (den Cochlea Nerv), als auch auf Ebene der Haarzellen. Die Wirkung auf das Zentralnervensystem erklärt man durch die GABAerge Modulation als auch durch die Erhöhung der Acetylcholinrezeptor Aktivität und die Stimulation des Wachstums der Axone und Dentriten von Nervenzellen. Die Wirkung auf die Haarzellen könnte durch die aktiven Metaboliten, dem Withaferin A und Sitoindosiden VII-X liegen, denen antioxidative Wirkung nachgesagt wird.
Die Wirkung von innerlich angewendetem Ghee besteht abseits von der Rasayana Wirkung und dem positiven Einfluss der süßen Eigenschaft auf das Vata Dosha in Verdrängung von fettlöslichen Toxinen aus den Körperzellen und in seinen antioxidativen und damit Zell protektiven Eigenschaften.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass der Ayurveda eine patientenindividuelle Behandlung vorsieht. Nicht nur der Patient wird in seiner Gesamtheit (Geist, Körper, Seele) und seiner individuellen Dosha-Konstitution wahrgenommen, auch die jegliches Krankheitssymptom wird gleichermaßen evaluiert und entsprechend individuell behandelt.
Autorin: Mag. pharm. Claudia Gnant
Ayurveda Praktikerin
Studentin der Ayurveda Medizin
Dozentin an der Europäischen Akademie für Ayurveda
Apothekerin & Pharmazeutin
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